Training für die Seele

Training tut nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut. Sogar, wenn die psychische Verfassung einen krank zu machen droht, zeigt Sport Wirkung. Er kann dem vorbeugen und bei übersteigerten Ängsten sowie depressive Verstimmungen helfen.

Aktivsein macht den Kopf frei für neue Herausforderungen. Diesen Effekt haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien bestätigt. Neurowissenschaftler beobachteten bei jungen Erwachsenen Verbesserungen im visuell-räumlichen Gedächtnis, bei der Konzentrationsfähigkeit und der Stimmung: Sport macht damit in gewissem Umfang schlau. Und wirkt auch im Alter: Eine Langzeitstudie ergab, dass regelmäßiges Training die Leistungsfähigkeit des Gehirns von Senioren deutlich steigern kann. Eine kognitiv leistungsfördernde Wirkung über alle Altersgruppen wurde durch eine Meta-Analyse bestätigt. Ihr zufolge sorgt regelmäßige Bewegung für messbare Verbesserungen der Aufmerksamkeit, des Verarbeitungstempos und der Erinnerung. Auch die vorbeugende und heilende Wirkung von Sport bei psychischen Problemen ist, wie wir später noch sehen werden, belegt. Warum nun wirkt körperliche Aktivität dermaßen positiv auf seelische Vorgänge?

Hervorragend gegen Stress

Die positive mentale Wirkung von Sport wird unter anderem seinem Einfluss auf das Stresshormon Cortisol zugeschrieben. Ist der Cortisolwert dauerhaft oder zu häufig erhöht, stehen wir unter schädlicher Anspannung. Dass Bewegung das Cortisol positiv beeinflusst, konnte bei gesunden Menschen bereits nachgewiesen werden. Eine Schweizer Untersuchung an Jugendlichen legt allerdings nahe, dass die stressmindernde Wirkung nur vollumfänglich wirkt, wenn aus intrinsischer Motivation trainiert wird. Ist der Eigenantrieb vorhanden, gilt: Intensive körperliche Aktivität kann den negativen Effekt von Stress auf die Zufriedenheit hemmen.

Gut für Nerven, Hirn und Metabolismus

Wer in Bewegung bleibt, begünstigt die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe, die Impulse von einer Nervenzelle auf andere Zellen übertragen. Zu diesen Neurotransmittern gehören unter anderem Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Diese können Glücks- sowie Belohnungsgefühle freisetzen und die Leistungsbereitschaft erhöhen. Training steigert zudem vielfach die Konzentration des Nervenwachstumsfaktors (Brain-Derived Neurotrophic Factor/BDNF). Sport trägt somit dazu bei, Nervenzellverbindungen zu stabilisieren und zur gegenseitigen Vernetzung anzuregen. Sich fit halten, kann darüber hinaus die Aktivität des für geistige Fitness wichtigen präfrontalen Cortex (Teil des Frontallappens der Großhirnrinde) positiv beeinflussen. Sport bietet eine gute Ablenkung, regt den Stoffwechsel an und Körper und Geist arbeiten perfekt zusammen. Insgesamt ist er damit ein äußerst effektiver Unterstützer mentaler Gesundheit. Was aber versteht man überhaupt unter dieser?

Entscheidend ist das „sich wohl fühlen“

Die WHO beschreibt mentale Gesundheit als Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten kann. Ist dies gefährdet, kann eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen auftreten. Mentale Gesundheit ist aber nicht nur durch individuelle Merkmale beeinflusst, sondern auch durch soziale Umstände und die Umgebung. Das lehrte uns besonders anschaulich die „Corona-Zeit“. Seit ihr geht es mit den Deutschen mental bergab.

Zur Lage der Nation

Im Deutschen Ärzteblatt wird im Zusammenhang mit Covid 19 und dessen psychischen Folgen über Ergebnisse zu drei Indikatoren berichtet: depressive Symptome, Angstsymptome und subjektive psychische Gesundheit. Depressive Symptome (Interessenverlust und Niedergeschlagenheit) betrafen Mitte 2022 etwa 17 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Angstsymptome (Ängstlichkeit und unkontrollierbare Sorgen) lagen zum gleichen Zeitpunkt bei elf Prozent vor. Parallel dazu sank der Anteil derjenigen, die ihre psychische Gesundheit als „sehr gut” oder „ausgezeichnet” einschätzen, von 44 auf 40 Prozent. Insgesamt stellt dies eine deutlich verschlechterte Lage gegenüber vorpandemischen Zeiten dar. Knapp 55 Prozent Plus bei depressiven Symptomen, gut 57 Prozent Plus bei Angstsymptomen, gut neun Prozent Minus bei subjektiver psychischer Gesundheit. Dieser Negativtrend setzte sich bis weit ins Jahr 2023 hinein fort, wobei auch zusätzliche Stressoren – darunter der Krieg in der Ukraine und negative wirtschaftliche Entwicklungen – zu berücksichtigen seien. Laut dem medizinischen Fachjournal sind daher verstärkte Anstrengungen nötig, um die psychische Gesundheit zu schützen und zu fördern. Zu diesen Anstrengungen würde auch mehr Sport passen. Er ist sicher kein Allheilmittel, aber angesichts einer insgesamt bewegungsarmen Gesellschaft, ein Mittel mit Riesenpotenzial. Anders ausgedrückt: Wären alle in ausreichenden Maße körperlich aktiv, würde sich das gesamtdeutsche Stimmungsbild mit einiger Sicherheit bessern. Die Wissenschaft bestätigt: Gerade die Problemfaktoren Depressions- und Angstsymptome würden damit gezielt angegangen.

Sport gegen depressive Verstimmungen

Wie beeinflusst Sport das Depressionsrisiko? Eine Studie aus England, deren Teilnehmer im Alter von Mitte 40 wegen einer Depression in Behandlung waren, gab dazu Aufschlüsse. Zunächst einmal bestätigte sich der verdacht auf Bewegungsmangel. Betroffenen schliefen und saßen mehr und waren weniger aktiv als Nichtdepressive. Dass dies ein Fehler ist, ergab eine weitere Analyse. Denn das Depressionsrisiko sinkt, wenn sitzende, schlafende oder nur leicht aktiv verbrachte Zeit durch Sport (moderat bis anstrengend) ersetzt wird. Bereits ein Plus von etwa 20 bis 25 Minuten pro Tag, das bewegungsfreie oder -arme Zeit ersetzt, könnte das Depressionsrisiko um 20 Prozent senken. Bewegung leichter Intensität kann ebenfalls helfen. Statt 20 bis 25 Minuten täglich wären dann aber anderthalb Stunden erforderlich, um die besagte Risikoreduktion von 20 Prozent zu erreichen.

Mit Blick auf antidepressive Medikamente, die besser bei niedrigeren Cortisolwerten wirken, wäre auch eine nachweisbare stresslindernde Sportwirkung bei Menschen mit einer Depression äußerst hilfreich. Regelmäßiges Training böte sich damit als verstärkende Begleittherapie an. Dass dem tatsächlich so ist, belegten brasilianische Forscher mittels Studienvergleich. Besonders deutlich scheinen schweißtreibende Sportarten wie Aerobic zu helfen. Auch die Sporthäufigkeit war relevant: fünfmal Sport pro Woche wirkte am besten gegen Stress, nur zweimal brachte schon keinen messbaren Effekt mehr.

Sport gegen Angstzustände

Sport kann Angstsymptome lindern. Das legt eine Studie des Department of Kinesiology der University of Georgia in Athen (USA) nahe. Die Untersuchung erfolgte an chronisch erkrankten Patienten, einer Gruppe, die naturgemäß besonders mit Ängsten konfrontiert ist. Die Wissenschaftler werteten 40 englischsprachige Studien aus. Deren Teilnehmer absolvierten entweder unterschiedlich lange Übungsprogramme oder waren inaktiv. Die Datenauswertung ergab, dass sich bestehende Ängste bei regelmäßiger Durchführung von mindestens 30 Minuten langen Bewegungsübungen deutlich verringerten. Im Vergleich zu denjenigen, die sich körperlich nicht betätigten, verringerten sich die Angstsymptome in Durchschnitt um knapp 30 Prozent. Der größte Effekt war zu verzeichnen, wenn die Patienten diese Übungen nicht länger als insgesamt zwölf Wochen durchführten. Viel hilft eben nicht immer viel.

Sonst noch etwas?

Ein positiver Effekt von sportlichen Aktivitäten ist auch, dass sie das Selbstwertgefühl erhöhen. Indem sportlich Aktive schrittweise Leistungsgrenzen überwinden, entwickeln sie Selbstvertrauen und steigern ihr Selbstbewusstsein. Eine körperliche Überforderung ist dabei allerdings zu vermeiden, da sonst die Gefahr droht, die Lust am Training und die Eigenmotivation zu verlieren – die Bewegung soll ja vor allem Freude machen. Womit wir abschließend dabei wären, das richtige Maß zu finden.

Schon 30 Minuten sind bereits effektiv

Bei der oft gestellten Frage, wie viel Sport denn pro Woche erforderlich sei, gibt es eigentlich keine untere Schwelle. Bereits einzelne Einheiten von nur 30 Minuten können wirken, wie die hier vorgestellten Studien zeigten. Abseits von krankheitsbedingten Besonderheiten, ist immer ein regelmäßiges Training empfohlen, wobei meist eine Anlaufzeit von etwa acht bis zwölf Wochen notwendig ist, bis sich nachhaltige Effekte beobachten lassen. Dabei ist es nicht entscheidend, welcher Aktivität man nachgeht – sei es nun beispielsweise Ausdauer-, Krafttraining oder Yoga. Hauptsache, es ist eine Aktivität, die einem liegt.

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