Blue Zones

Es gibt Orte auf der Welt, an denen Menschen durchschnittlich deutlich älter werden als in anderen Gebieten – die Blue Zones. Doch was machen die Bewohner dort anders? Essen sie gesünder? Machen sie mehr oder weniger Sport? Und: Wo sind diese „blauen Zonen“?

Fragen, denen Dan Buettner bereits 2005 im National Geographic nachging. Seit August 2023 kann man auf Netflix die Miniserie „Blue Zones“ zu diesem Thema einschalten. Dort stellt Buettner die verschiedenen Gebiete und Menschen vor. Der US-Journalist versucht außerdem, Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Lebensweise, Ernährung und sozialem Verhalten zu identifizieren. Es existieren laut Buettner fünf Blue Zones:

  • die japanische Inselgruppe Okinawa
  • Teile der italienischen Insel Sardinien
  • die griechische Insel Ikaria
  • die kalifornische Kleinstadt Loma Linda
  • die Halbinsel Nicoya in Costa Rica

Die Demografen Michel Poulain und Gianni Pes entdeckten im Jahr 2000 die Anomalien zuerst. Sie zeichneten mit einem blauen Stift einen Kreis um die Provinz Nuoro auf Sardinien und sorgten so für den Namen. Die Langlebigkeit lässt sich laut Pes nicht auf die Vererbung zurückführen: „Gerade mal sechs bis zehn Prozent der Langlebigkeit lassen sich mit Sicherheit durch Gene erklären. Der Rest liegt am gesunden Lebensstil“, erklärt der Professor an der Universität von Sassari.

Okinawa

Auf der japanischen Inselgruppe werden laut National Geographic vor allem Frauen besonders alt. 2022 lag ihre Lebenserwartung bei 87,4 Jahren. Männer werden in Okinawa im Schnitt 80,3 Jahre alt. Von 100.000 Menschen auf Okinawa sind 91 hundert Jahre alt oder älter. Die Menschen essen oft Süßkartoffeln, Soja und unterschiedliche Gemüsesorten, wie die Bittermelone. Diese ist laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft besonders gut für die Verdauung und mindert Entzündungen. Außerdem finden sich im Schnitt die doppelte Menge an Algen auf dem Speiseplan als im Rest von Japan. Die Menschen aus Okinawa verzichten nicht auf Fleisch oder Fisch; dafür sind die Speisen mit weniger Zucker, Salz und Fett zubereitet. Auf Okinawa leben die meisten Bewohner nach dem Motto Ikigai. Übersetzt heißt das so viel wie „lebenswert“ oder „Lebenssinn“. Das Prinzip heißt, man soll eine persönliche Berufung über den materiellen Erfolg stellen – ein Leben lang. Die Bevölkerung von Okinawa ist nach Umfragen die glücklichste in ganz Japan. Die Moai – übersetzt „soziale Unterstützung“ – ist ein funktionierendes soziales Auffangsystem. Ältere Menschen können sich dank der Moai auf Hilfe aus Kreisen der Familie, Freunde und Bekannte verlassen.

Sardinien

Auf Okinawa leben die ältesten Frauen; in den Regionen Ogliastra und Barbagia auf Sardinien leben die ältesten Männer Italiens (Lebenserwartung: 79,9 Jahre). Sie werden im Schnitt nicht älter als der durchschnittliche Italiener (80,1 Jahre), allerdings werden 15 % der Männer 90 Jahre oder älter – in ganz Italien sind es nur 3 %. Es ist die Blue Zone mit den meisten 100-jährigen Männern. Bei Frauen liegt die Lebenserwartung mit 85 Jahren leicht über dem italienischen Schnitt. Die Menschen dort schwärmen von ihrer Ernährung: Diese besteht aus Kartoffeln, Bohnen, Getreide und Gemüse. Fleisch findet man deutlich seltener auf dem Tisch. Dafür gibt es viele Omega-3-Fettsäuren aus Milchprodukten von Ziegen und Schafen. Diese werden von den Weidetieren gewonnen: Viele der Bewohner sind Hirten und arbeiten bis ins hohe Alter. Der Blue-Zone-Entdecker Pes erklärt die Langlebigkeit mit den bis zu 30 Kilometern pro Tag, die bei dem Job bewältigt werden müssen. Ähnlich wie auf Okinawa leben die Ältesten nicht in Seniorenheimen, sondern werden von Kindern, Nichten und Neffen unterstützt. Der Austausch und die soziale Akzeptanz sind laut den Ältesten der wichtigste Grund für das lange Leben. Auswanderer, die wieder zurückgekehrt sind, sehen auch die gute Luft als mögliche Ursache.

Ikaria

Auf der griechischen Insel werden im Vergleich zum Rest Europas mehr als doppelt so viele Menschen älter als 90 Jahre. Die ca. 8.400 Bewohner machen gezwungenermaßen eine Mittelmeerdiät: Sie bauen ihr Gemüse und ihre Oliven meist selbst an und essen davon auch viel. Dazu stehen häufig Fisch, Geflügel und Milch, Käse sowie Fleisch von Ziegen auf dem Tisch. Andere Nutztiere haben es schwer auf Ikaria. Die Insel ist wie ein großes Bergmassiv und zwingt auch die Menschen zum Laufen und Klettern. Die sehr niedrige Sterberate im mittleren Alter führen die Einwohner auf das saubere Wasser und den stetigen Wind am Meer zurück. Viele sehen auch die Gemeinschaft als wichtiges Gut; die Insel ist klein und das schweißt zusammen. Die Menschen sitzen und tanzen gerne zusammen; isoliert lebende Senioren sieht man selten.

Loma Linda

In der Kleinstadt wohnen ca. 9.000 Mitglieder der Siebenten-Tags-Adventisten. Menschen dieser Glaubensgemeinschaft folgen festen Regeln. Im Glauben der evangelischen Freikirche ist der siebte Tag der Samstag und heilig. Sie nennen ihn Sabbat: „Wir glauben, dass der Körper ein Tempel ist. Deshalb tragen wir ihm Sorge“, beschreibt Ernie Medina ihre Lebensweise dem Schweizer Rundfunksender SRF. „Darum essen wir gesund, treiben Sport, schlafen genug, kontrollieren den Stress. Der Sabbat ist wichtig, um mit Freunden und Familie zusammen zu sein“, so die Adventistin. Viele aus der Glaubensgemeinschaft sind aus religiösen Gründen Vegetarier oder essen nur selten Fleisch. Die Religion verbietet dazu Alkohol und Rauchen. Die Menschen treiben regelmäßig zusammen Sport und nehmen an Wohltätigkeitsaktionen teil – bis ins hohe Alter. Wer nicht mehr selbst für sich sorgen kann, wird in einem Altenheim betreut und weiter in die Gemeinschaft integriert. Obwohl Los Angeles nur eine Stunde entfernt ist, werden die Bewohner von Loma Linda deutlich älter. Adventisten in Kalifornien haben eine Lebenserwartung von 81 Jahren bei Männern und 84 Jahren bei Frauen. In ganz Kalifornien kommen die Männer im Schnitt nur auf 74 Jahre und die Frauen auf 80 Jahre.

Nicoya

Die Halbinsel in Costa Rica ist nach Sardinien die Blue Zone mit den meisten 100-jährigen Männern. Das Gebiet hat die weltweit niedrigste Sterberate im mittleren Alter. Die Lebenserwartung der Männer liegt bei 77 Jahren; die der Frauen bei 82,4 Jahren. Das Essen besteht hauptsächlich aus Reis und Bohnen – allerdings in vielen Variationen. Zucker wird dagegen kaum konsumiert. Der 101-jährige Ramiro Guadamuz Chavarría reitet jeden Tag mit dem Pferd, um eine Herde Rinder auf die Weide zu führen. „Viel Arbeiten, immer in Bewegung bleiben“, verrät er sein Geheimnis dem SRF. Dazu komme wenig Fleisch, kleine Portionen und keine späten Mahlzeiten. Die älteren Menschen auf Nicoya sind oft sehr gläubig und sehen in der Religion einen Lebenssinn. Auch hier ist fast niemand isoliert: Es gibt eine große Gemeinschaft aus Familie und Freunden, in der die Senioren stark eingebunden sind.

Fazit

Egal, ob Insel, Gebirge oder Kleinstadt: Alle Blue Zones sind in gewisser Weise isoliert. Das trifft allerdings überhaupt nicht auf ihre Bewohner zu. Die soziale Unterstützung ist bei den Familien und Freunden sehr stark ausgeprägt. Die Ältesten sind in jedem der Orte aktiv in die Gruppe eingebunden und ein Teil der Gemeinschaft.

Die Blue-Zone-Bewohner leben meist traditionell. Die Landwirte oder Hirten essen oft ihre eigenen Produkte. Verarbeitete Lebensmittel findet man eher nicht auf dem Speiseplan. Ansonsten ist die Ernährung in den einzelnen Gebieten durchaus unterschiedlich: Die Menschen in Nicoya essen (abgesehen von Ramiro) zum Beispiel mehr Fleisch als Menschen aus den anderen Blue Zones. Auf Ikaria und Sardinien wird gerne Wein getrunken.

Die Bewohner der Regionen sehen zudem einen Sinn in ihrem Leben: Der Großteil der Senioren arbeitet bis ins hohe Alter und bewegt sich dazu viel. Die Älteren geben ihr Wissen bereitwillig an die jüngere Generation weiter und tragen zu einem Gemeinschaftsgefühl bei. Dazu sind die Menschen in den Gebieten sehr glücklich. Die Religion spielt in manchen Blue Zones eine entscheidende Rolle. Auch der Glaube kann die Menschen motivieren, sich zu engagieren und zu bewegen.

Alle Blue Zones liegen in tropischen oder subtropischen Regionen. Das könnte für viel Vitamin D sorgen; ein Mangel kann die Lebenserwartung laut Studien verkürzen. Die Gene spielen eine untergeordnete Rolle – das sieht nicht nur Professor Pes so: Eine Untersuchung hat ergeben, dass Menschen, die aus Nicoya wegziehen, nicht mehr überdurchschnittlich alt werden.

Buettner vermutet, dass sich die Menschen gegenseitig beeinflussen. Seiner Meinung nach werden der Essensplan, die Bewegung und die Aktivitäten von der Gruppe gesteuert. Man verhält sich ähnlich wie sein direktes Umfeld und bricht weniger wahrscheinlich aus den festen Mustern aus.

Gefahren und eine künstliche Blue Zone

Woran die Langlebigkeit letzten Endes liegt, bleibt aber ungeklärt. Es gibt keine systematische Untersuchung oder einen Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen, die ähnlich leben, aber dennoch nicht so alt werden. Es gibt laut Buettner auch noch ein anderes Problem: Die Gebiete verändern sich und es gibt nun auch in den Blue Zones jede Menge Möglichkeiten der Abweichung. Vor allem die jüngere Generation ist anfällig, der Versuchung von Fastfood und Videospielen zu erliegen.

Doch es gibt auch Möglichkeiten, eine Blue-Zone künstlich zu erschaffen – oder zumindest die Lebenserwartung der Bevölkerung zu erhöhen. Die Serie bezeichnet den Stadtstaat Singapur als „Blue Zone 2.0“. Die Stadt wurde so konzeptioniert, dass sie extrem freundlich für Fußgänger ist: Es braucht maximal 350 Meter zur nächsten U-Bahn-Station. So wird wie in den Blue Zones Bewegung gefördert. Autos und Benzin sind deutlich teurer als in anderen Gebieten der Welt. Gesunde Lebensmittel sind subventioniert und dadurch billiger. Sie werden genauso wie der Zuckergehalt klar gekennzeichnet. Die Stadtplaner haben viele Orte, an denen man sich versammeln kann, errichtet, und es gibt Steuervergünstigungen, wenn erwachsene Kinder in der Nähe ihrer Eltern leben. So will Singapur den sozialen Zusammenhalt stärken und Eigenverantwortung sowie Kostenbewusstsein lehren. Die Lebenserwartung der Bevölkerung zeigt den Erfolg dieses Systems: Die Männer werden im Schnitt 82 Jahre alt, die Frauen sogar 86,3 Jahre.

 

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert