Im Zeichen der Sonne

Da viele Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder altersbedingt bei
traditionellem Yoga passen, bietet Yoga in bequemer Sitzhaltung eine prima Alternative,
um dennoch die zahlreichen Vorzüge der indischen Bewegungslehre zu nutzen.

„Yoga im Sitzen“ und „Yoga auf dem Stuhl“ sind die häufigsten Bezeichnungen für die Trainingsform, bei der nicht mehr die übliche Matte zum Einsatz kommt. Wir werden für das Üben in komfortabler Ausgangsposition der Einfachheit halber den Terminus „Sitz-Yoga“ verwenden. Apropos Benennungen: Namentlich unterscheiden sich die Übungen und Techniken meist nicht von denen des klassischen Yogas. Allerdings werden sie, etwa durch Wegfall oder Erleichterung schwieriger Übungsbestandteile, so angepasst, dass zwar die Durchführung wesentlich unkomplizierter ist, aber dennoch eine gute Wirkung von ihnen ausgeht. Aktivieren, entspannen, dehnen – all das funktioniert auch im Sitzen. So wird das Wohlbefinden gesteigert, die Atmung vertieft, Stress bekämpft und so manche Schmerzquelle zum Versiegen gebracht. Aber damit nicht genug. Zu den möglichen positiven Effekten gehören auch weitere gesundheitsfördernde Faktoren wie eine Verbesserung von Haltung, Koordination, Gedächtnisleistung und Schlafqualität sowie eine Reduzierung des schon mit dem 30. Lebensjahr beginnenden Muskelabbaus.

Ist Sitz-Yoga überhaupt richtiges Yoga?

Die Frage lässt sich beinahe uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten. Dass beim Yoga Hilfsmittel zur Erleichterung der Übungsausführung eingesetzt werden, ist nämlich nichts Neues. Mit Iyengar-Yoga gibt es sogar eine Yogarichtung, die explizit auf diese setzt. Bei dem nach seinem Begründer, dem indischen Yogalehrer B. K. S. Iyengar, benannten Yoga-Style sollen die Hilfsmittel, so genannte „Props“, ermöglichen, durch eine höhere Konzentration auf die exakte Positionierung Körper und Geist noch besser zu synchronisieren und so zu physischer und psychischer Gesundheit zu gelangen. Zudem wird bezweckt, dass auch Ungeübte, Unflexible, Senioren und Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit die meisten Einheiten problemlos durchführen können. Genau das sind auch die Ziele des Sitz-Yoga. Es ist zwar ist zwar in keinster Weise identisch mit Iyengar-Yoga, atmet aber gewissermaßen dessen Geist. Umfassend, aber selten gelehrt Sitz-Yoga deckt das komplette Yoga-Spektrum ab. Körperliche Übungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama) und Meditation gehören auch hier zum Grundgerüst. Die im Text in Klammern aufgeführten Begriffe entstammen übrigens der altindischen Sprache Sanskrit. Altindisch und altersgerecht passen dabei gut zusammen. Denn Yoga wie auch Sitz-Yoga zeichnen sich durch langsame und achtsame Bewegungen aus, was Verletzungsrisiken mindert. Sitz-Yoga ist zwar einfacher als Klassik-Yoga, dafür sind aber Kurse, in denen es gelehrt wird, weitaus schwieriger finden. Es gibt sie zwar vereinzelt, von einer Flächendeckung sind wir aber weit entfernt. Sitz-Yoga ist also eher etwas für daheim. Um das Übungsspektrum kennenzulernen, ist Internetrecherche empfohlen. Auf youTube gibt es Videos und auch in Sachen Literatur wirst du fündig werden. Um dir einen Vorgeschmack zu liefern, steigen wir nun in den Übungspart ein.

Auftakt mit der Sonnenatmung

Unser Übungsprogramm ist der in dieser Jahreszeit zu kurz kommenden Sonne gewidmet. Begonnen wird mit der Sonnenatmung. Die im Sanskrit „Surya bhedana pranayama“ genannte Übung soll für einen gelungen Start in den Tag sorgen, ist also vorzugsweise morgens durchzuführen. Sie kann Lebensgeister wecken und die Stimmung verbessern. Yoga-Insider sprechen davon, dass die für Aktivität und Beweglichkeit zuständige Sonnenenergie, erhöht wird. Im Idealfall kommt es so zu einem Anstieg der körperlichen und seelischen Wärme. Ausgangspunkt ist der bequeme Sitz auf einem Stuhl, die Augen sind geschlossen. Der Grundsatz lautet: Rechts einatmen, links ausatmen. Dazu verschließt du zunächst das linke Nasenloch mit dem kleinen Finger der rechten Hand. Dann atmest du durch das rechte Nasenloch tief und langsam ein und verschließt es anschließend mit dem Daumen. Dann hältst Du länger den Atem an. Konzentriere dich auf den Kopf und die Schädeldecke, damit die Energie dorthin geleitet wird. Erhöhe die Zeit des Atemanhaltens schrittweise, bis sie optimal ist. Halte den Atem aber in jedem Fall nur so lange an, wie es angenehm ist. Zum langsamen Ausatmen öffnest du das linke Nasenloch. Wiederhole die Übung bis zu fünfmal. Wenn es dir leichter fällt, kannst du anfangs auf das Anhalten des Atems verzichten. Ein mehrteiliger Gruß ans ZentralgestirnUnser Hauptübungsteil besteht aus einem der Klassiker unter den Asanas, dem Sonnengruß (Surya Namaskar). Es handelt sich um einen Yoga-Flow, das heißt, verschiedene Übungen werden in dynamischer Abfolge praktiziert. Die zahlreichen Übergänge von einer Übung zur nächsten sind schon ein wenig herausfordernd. Wer das auf Anhieb nicht hinbekommt, kann auch zu Beginn nur einzelne Übungsbestandteile praktizieren. Wie die Sonnenatmung wird auch der Sonnengruß traditionell am Morgen geübt, was aber definitiv kein Muss ist. Der Ganzkörper-Workout wirkt meditativ und ist ein gutes Herz-Kreislauf-Training, das neue Kraft und Energie schenken soll. Körpermitte und damit die Bauchmuskulatur werden gestärkt, Verspannungen gelöst, Fehlhaltungen verhindert und die Atemräume erweitert. Die Verbindung von Atmung und Bewegung fördert zudem die Konzentration, wobei der Atem grundsätzlich die Bewegung einrahmt. Heißt, man beginnt mit der Atmung und die Bewegung folgt. Atmung und Bewegung sind dabei gleichmäßig, kontrolliert und nicht hektisch.

Der Sonnengruß im Sitz-Yoga

Innerhalb der Yogastile existieren verschiedene Sonnengruß-Varianten, es gibt also nicht eine allgemeingültige Ausführung. Die Unterschiede liegen in den Übungsbestandteilen, den Übergängen und dem Schwierigkeitsgrad. Gerade im Sitz-Yoga wird mit dem Sonnengruß spielerisch und experimentell umgegangen. Die nachfolgende Praktik orientiert sich an dem Schema der im westfälischen Münster beheimateten Yogalehrerin Kerstin Klimenta.

Zum Üben reicht ein ganz normaler Stuhl, am besten einer ohne Armlehnen. Die richtige Sitzposition ist erreicht, wenn Knie und Hüfte im rechten Winkel zueinanderstehen, die Unterschenkel senkrecht zum Boden stehen und die Fußsohlen ihn komplett berühren. Nun kannst du, wenn es dir gefällt, den Sonnengruß erneut beginnen. Übe, bis du die Abläufe verinnerlicht hast und du dich ganz auf Atmung und Bewegung konzentrieren kannst.

Abbildung: A. Azarnikova / shutterstock.com
Quelle: shape UP Vita 1/2023

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